Namenssteine

Die Ökumenische Genozidgedenkstätte in Berlin-Charlottenburg bietet die Möglichkeit, einzelner Opfer des Genozids durch das Spenden eines Namenssteins zu gedenken. In der Regel gilt das Gedenken Angehörigen der eigenen Familie oder aus dem eigenen Herkunftsort.

Den Anfang der Namenssteinspenden hat Maria Guedelekian aber bewusst mit einem „allen namenlosen Opfern“ gewidmeten Stein gemacht.

Die Spenderinnen und Spender besitzen die Möglichkeit, die Gründe ihrer Spende auf dieser Seite mitzuteilen, ebenso Angaben zum Lebenslauf der Menschen, für die sie einen Namensstein an der Gedenkstätte niederlegen.

Gewidmet an Gespendet von Warum ich gedenke
Allen unbekannten Opfern

Maria Guedelekian
am 23. April 2017
Als ich letztes Jahr bei der Gedenkstätte stand, sah ich den Stein mit dem Namen Aram. Mit diesem Namen kann ich etwas verbinden. Ich wurde sehr traurig, weil ich an die vielen Opfer denken musste, derer sich niemand persönlich erinnern kann, weil kein nahestehender Mensch überlebt hat.

Was bleibt?

Teil einer großen Opferzahl zu sein, einer abstrakten Größe, die so viel konkretes Leid nicht fassen kann. Diesen unbekannten Opfern will ich mit dem Namensstein etwas Konkretes geben; den Schriftzug- als bleibende Narbe im Stein.

Als Christin tröstet es mich sehr, dass Gott den uns unbekannten Opfern ihre Namen zurückgibt.

Spruch des Herrn: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen: du bist mein!“ (Jes 43.1)
Դանիէլ Վարուժան - Daniel Waruschan (Daniel Varowžan, d.i. Daniel Č’powk‘k’arean [Tschpukkarjan]),

Lehrer und Dichter westarmenischer Sprache; geb. am 20.04.1884 in Brgnik/Sebastia (heute Sivas; Türkei) als Sohn eines Bauern; sein Vater wurde während der Armenier-Massaker 1896 unter falsche Anklage gestellt und in Konstantinopel eingekerkert; im selben Jahr übersiedelte Daniel Waruschan nach Konstantinopel; Besuch von Schulen des armenisch-unierten Mechitaristenordens, seit 1902 in Venedig und Wien; 1905-8 Studium der Geschichte, Literatur sowie belgischen und französischen Kunst in Gent; 1909 Rückkehr in das Heimatdorf Brgnik als Schullehrer; seit 1912 Direktor einer armenischen Schule in Konstantinopel; 1914 Gründungsmitglied der Literaturgruppe und gleichnamigen Zeitschrift Mehjan; am 24. April 1915 verhaftet und in Çankırı (Provinz Kastamonu) interniert ; gemeinsam mit vier weiteren Armeniern auf Anordnung des örtlichen Zweigs der Regierungspartei Ittihat ve Terakki Cemiyeti durch den Kurden Alo und drei Mittäter am 19.08.1915 während der Deportation nach Ankara beim Dorf Tüney brutal gefoltert und ermordet.

Tessa Hofmann
am 23. April 2017
Als Armenistin und Genozidwissenschaftlerin berührt mich das Schicksal der im April 1915 in Konstantinopel festgenommenen und während der Deportation bzw. in der Verbannung ermordeten armenischen Autoren ganz besonders. Durch Nachdichtungsversuche der von meinem Kollegen Gerayer Koutcharian übersetzten Gedichte sind mir die Themen und Gedankengänge Daniel Waruschans sowie Siamantos vertraut geworden; sie gelten als die wohl bedeutendsten Dichter westarmenischer Sprache ihrer Generation.

Im Alter von nur 31 Jahren ermordet, hinterließ Daniel Waruschan vier Gedichtsammlungen sowie den unvollendeten Zyklus Das Lied des Brotes, der erst 1921 veröffentlicht werden konnte.

Mit je einem Namensstein für Daniel Waruschan und Siamanto möchte ich an die Opfer des Elitozids erinnern, den die so genannten Jungtürken 1915 unter der geistigen und geistlichen Führung des westarmenischen Volkes verübten.
Սիամանթօ - Siamanto (Siamant’o; .d.i. Atom Jardschanjan bzw. Earčanean; armen. Ատոմ Եարճանեան),

Dichter westarmenischer Sprache; geb. 15.08.1878 in Akn (türk. Eğin, Provinz Mamuret-ül Aziz); 1891 Übersiedlung nach Konstantinopel zum Besuch des Gymnasiums; 1896-1908 Flucht aus der Türkei unter dem Eindruck der Armeniermassaker von 1894-96 und Exil, seit 1897 Studium in Kairo, Genf, London und Paris; 1909 Reise in die USA; publizistisch für die armenischen Zeitschriften Azatamart, Anahit u. Banber tätig; am 24. April 1915 Festnahme bei Massenverhaftung armenischer Intellektueller in Konstantinopel; Deportation und Ermordung während der Internierung in Çankırı (Provinz Kastamonu)

Tessa Hofmann
am 23.04.2017
Malke Sa’ido



Fuat Kaya
am 15. Juni 2017
Mein Ur-Urgroßvater Saido hatte vier Söhne: Dawut, Saumi, Malki und Denho. Meine Ur-Urgroßmutter hieß Mire. Während des Völkermords wurde die Familie in einen Hinterhalt gelockt und getötet. Nur Malki Saido überlebte. Von ihm wissen wir, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Menschen, die ihre Angehörigen auf der Flucht verloren hatten, zu helfen und sie zu sicheren Zufluchtsorten zu begleiten.

Er hat der Familie von seinen lebensgefährlichen Fahrten nach Sindschar, Derike, Duhuk und Mossul im heutigen Irak berichtet, wohin er im Auftrag des Bischofs und der Gemeindevorsteher, mit denen er in ständigem Kontakt stand, schutzlose Personen brachte: Waisenkinder, die ihre Eltern beim Völkermord verloren hatten, Frauen, deren Männer umgebracht worden waren und die in für sie fremden Dörfern leben mussten, fern ihrer Gemeinde. So veranschaulicht das Leben meines Urgroßvaters die ganze Tragik dieses Völkermordes.
Malke Hanneh Haydo



Cibrail Turan am 15. Juni 2017 Man erzählt sich von meinem Großonkel Malke, dass er ein großer, mutiger und furchteinflößender Mann gewesen sei, der einen unbändigen Sinn für Gerechtigkeit hatte und ein außerordentlich guter Schütze gewesen ist.

Zur Zeit der Verfolgung, im Jahre 1915/1916 war der legendäre Volksheld Shemun Hanneh Haydo inhaftiert. Sein jüngerer Bruder Malke, der zu dieser Zeit die Führung des Dorfes Sare innehatte, entschied, als sich die Nachricht vom Massaker herumsprach, dass alle Einwohner im das Dorf B‘Soryno Schutz suchen sollten. Dort konnte man sich besser gegen Angreifer verteidigen. Zu dem Zeitpunkt waren 40 türkische Soldaten in B‘Soryno stationiert. Sobald die Leute aus Sare im Dorf eintrafen, entwaffneten sie das Militär und vertrieben sie. Malke gründete ein Komitee von ca. 40 Personen, um die Sicherheit zu garantieren und die Verwaltung zu übernehmen. Dies hatte sich auch in anderen Dörfern herumgesprochen, sodass aus ca. 15 umliegenden Dörfern, darunter auch Midin, Timurz und Quanac, die Bewohner schutzsuchend nach B‘Soryno kamen. Der Dorfvorsteher des Dorfes Quanac, ein Kurde, hatte ebenfalls von Malke gehört und persönlich die Christen seines Dorfes, etwa 40 Menschen, nach B‘Soryno geführt. Für diese Großherzigkeit bedankte sich Malke mit einem Geschenk. Manchmal ist Malke sogar selbst mit seinen Leuten losgezogen, um schutzlose Christen nach B‘Soryno zu bringen. Er scheute keine Gefahren, wenn er nur helfen konnte. Es heißt, dass etwa fünftausend Auswärtige solcherart in B‘Soryno Schutz fanden. Diese große Zahl an Menschen musste jedoch auch versorgt und verpflegt werden, was zu Streitigkeiten führen konnte. Malke Hanneh Haydo erstickte Streitigkeiten im Keim und setzte durch, dass alle für einander sorgen mussten und christliche Grundwerte verteidigt wurden. Es wurde Tag und Nacht Wache gehalten. Niemand konnte sich ungesehen dem Dorf nähern. Tausende aramäischer Christen verdanken ihm ihr Leben.

1917 starb Malke durch einen Hinterhalt der Kurden und des türkischen Militärs.
Habib



Amill Gorgis
Am 15. Juni 2017
Habib, mein Großvater mütterlicherseits, starb bei der Zwangsarbeit. Er gehörte zu denjenigen, die in derselben Zeit für den Straßenbau rekrutiert worden waren und schließlich an Erschöpfung und Hunger sterben mussten. Seine Leiche vergrub man wie die der anderen am Straßenrand. Meine Großmutter erhielt die Nachricht von seinem Tod, während sie meine Mutter stillte. Es dauerte nicht ein Jahr, bis sie selber vor Kummer um ihren Mann starb, so wurde es meiner Mutter erzählt.

Das Schicksal meiner Großeltern und Eltern ist ein Teil meiner Identität geworden. Ich habe diese Berichte von meinen Eltern gehört, die sie auf ihre Weise erzählt und tradiert haben. Sie selbst haben sich die Geschehnisse durch Angehörige erzählen lassen müssen, da sie zur Zeit der Ereignisse sehr klein waren. Noch heute bewundere ich meine Eltern, wie sie trotz ihres schweren Schicksals eine Familie gründen und gut für uns Sorge tragen konnten.
Gorgis (gest. 1915) Amill Gorgis
Am 15. Juni 2017
Meine Eltern stammen aus dem Südosten der Türkei, meine Mutter aus Mardin, mein Vater aus Ma’asarte (türk. Ömerli) unweit Mardins. Meine Großeltern kamen beim Völkermord an den Christen im Osmanischen Reich ums Leben. Mein Großvater väterlicherseits ist zusammen mit allen christlichen Männern des Dorfes Ma‘asarte enthauptet und in einen Brunnen geworfen worden. Bis heute heißt dieser Brunnen auf Arabisch Jub al-Nasara, „Brunnen der Nazarener“.